Projekt Alpvorland
Flüssigboden für Mega-Projekt
Bei der Planung von Tiefbaumaßnahmen an Hauptverkehrsadern ist es bereits bei der Planung ganz besonders entscheidend, Bauabläufe und Sperrungen möglichst kurz zu halten, um den Verkehr so wenig wie möglich zu behindern. Gerade bei innerstädtischen Maßnahmen ist selten ausreichend Platz für Tiefbauarbeiten vorhanden und somit sind praktikable Lösungen gefragt, die auch auf engstem Raum einen schnellen und unkomplizierten Bauablauf ermöglichen. Insbesondere Aushub und spätere Verfüllung der Baugrube sind sehr aufwändig, da große Mengen an Bodenmaterial abtransportiert bzw. zwischengelagert werden müssen. Eine Möglichkeit, um derartige Vorgänge zu vereinfachen, bietet der Einsatz von Flüssigboden. Im Rahmen eines Tunnelneubaus am Südschnellweg in Hannover-Döhren kam diese Bauweise mit all ihren Vorteilen in großem Umfang zum Einsatz.
Der Südschnellweg ist eine wichtige Hauptverkehrsachse der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Im Bereich der Hildesheimer Straße führt die vierspurige Straße über eine Brücke, die täglich von ca. 60.000 Fahrzeugen befahren wird. Das noch aus den 60er Jahren stammende Brückenbauwerk ist seit einiger Zeit marode und daher in jede Richtung nur noch einspurig befahrbar und für den Schwerlastverkehr gesperrt. Der Bundesverkehrswegeplan sieht vor, dass die Brücke in den nächsten Jahren abgerissen und durch einen 800 Meter langen Tunnel ersetzt werden soll. Nach 8 Jahren Planung begannen im Frühjahr 2022 die Arbeiten im Kreuzungsbereich.
Besondere Herausforderung während der Bauphase war, dass alle Straßen voll befahrbar bleiben sollten. Auch die Stadtbahn sollte in Betrieb bleiben. Dies funktionierte nur durch den Bau einer Ersatzbrücke, damit die Lebensader weiter funktionieren und gleichzeitig der Tunnel gebaut werden konnte.
Für den Bau der Ersatzbrücke und für den späteren Tunnelbau mussten jedoch einige Versorgungsleitungen provisorisch umgelegt werden, um das Baufeld frei zu bekommen und dies innerhalb eines sehr engen Zeitfensters. Zahlreiche Rohrleitungen mussten in offener Bauweise neu verlegt werden. Dafür wurde - statt wie bei einer herkömmlichen Bauweise den Boden abzufahren, zwischenzulagern und wieder zu verfüllen - ein Flüssigbodenkonzept erarbeitet, das vorsah, den vor Ort anfallenden Bodenaushub nach Verlegung der Rohre für die Verfüllung der Baugruben als Flüssigboden wieder zu verwenden.
Flüssigboden
Unter Flüssigboden versteht man zeitweise fließfähige, selbstverdichtende Verfüllbaustoffe (ZFSV) auf Basis von aufbereitetem Erdaushub, geprüften Recyclingbaustoffen oder natürlichen bzw. aufbereiteten Sand-Kies-Gemischen unter Zugabe definierter Additive und Wasser. Der Flüssigboden wurde bei dieser Maßnahme mit einer BQF-zertifizierten, mobilen Mischanlage aufbereitet. Bestandteile der Mischung waren der zuvor gesiebte Boden (Körnung 0/40mm) und ein Compound. Das Gemisch erreicht dabei eine maximale einaxiale Druckfestigkeit von 0,3 N/mm² (nach FGSV H ZFSV). Grober Ablauf: Zuerst wird der Boden aus der Baugrube mittels einer mobilen Siebanlage aufbereitet und die groben Körnungsanteile > 40 mm abgetrennt, um eine unkomplizierte Weiterverarbeitung und Verfüllung zu gewährleisten und danach in einen Chargenmischer eingebracht. Die Erzielung eines gleichmäßigen, homogenen Gemisches ist hierbei zu beachten. Mit dem Einfüllen des Grundmaterials wird gleichzeitig ein Teil des Anmachwassers zugegeben, damit ein erster rheologischer Effekt erzielt wird. Zeitversetzt wird das Compound zum teilverflüssigten Boden zugeben und homogenisiert. Das zugegebene Compound bewirkt neben der Verstärkung des rheologischen Faktors den Beginn des Verfestigungsprozesses zum Erreichen der erforderlichen Tragfähigkeit. Mit dem Restwasser, welches bei der Eignungsuntersuchung im Vorfeld der Baumaßnahme bestimmt werden muss, wird die optimale Fließfähigkeit, welche zur vollständigen Verfüllung des Bauobjektes notwendig ist, eingestellt. Nach der optimalen Mischzeit kann das homogene, fließfähige Verfüllmaterial ausgeschleust werden. Der fertige Flüssigboden wird schließlich über eine hydraulisch verstellbare Rutsche direkt in den Graben bzw. in die Baugrube gefüllt. Bei Bedarf kann er auch in Fahrmischern eingefüllt und auf die Baustelle transportiert werden. Eine laufende Überwachung der Rezepturen sichert dabei die Qualität des Bauwerks.
Einsparung von Transporten und Bauzeit, schnelle und optimale Verfüllung
Diese Bauweise bietet viele Vorteile. Der entscheidende Vorteil bei der Verwendung von Flüssigboden liegt darin, dass der vor Ort anstehenden Boden wiederverwendet werden kann. In Summe konnten bei dieser Maßnahme durch die Aufbereitung des Bodenaushubes vor Ort rund 300 Ab- und Antransporte auf öffentlichen Straßen (ca. 2.000 m³ Boden bei rd. 15 m³ Ladevolumen) eingespart werden. Dies senkte den Ressourcenverbrauch und sparte Deponieraum und damit auch Kosten für die Baumaßnahme. Ein weiterer Vorteil: Die bis zu 4 Meter tiefen Baugruben ließen sich mit Flüssigboden deutlich schneller und einfacher verfüllen, als das mit herkömmlicher Verfüllung möglich gewesen wäre. Auch die Arbeitsräume konnten deutlich schmaler ausfallen als bei herkömmlicher Bauweise. Und letztendlich ist der Flüssigboden an allen Stellen sehr leicht selbst mit Schaufel oder Minibagger wieder aushubfähig. Darüber hinaus Flüssigboden ist völlig setzungsfrei aufgrund hoher Verdichtung und vollständiger Vermeidung von Hohlräumen. Eine Nachverdichtung ist nicht erforderlich, schädlich Einflüsse durch Verdichtungsvibrationen entfallen.
Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) definiert Qualitätsstandard
Um für diesem bisher noch nicht genormten Baustoff Flüssigboden eine transparente, gleichbleibende und zielgerichtete Qualitätssicherung am Markt zu gewährleisten, hat sich auch bei dieser Baumaßnahme die „Richtlinie für die Qualitätssicherung“ der Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) bewährt sowie die Vorgaben und Standards definiert und deren Umsetzung in der Praxis sichergestellt.
Die Südschnellwegbrücke in Hannover-Döhren ist marode und wird in den nächsten Jahren durch einen Tunnel ersetzt.
(Bild: BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.)
Die Platzverhältnisse an der Hildesheimer Straße in Hannover sind sehr beengt. (Bild: BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.)
Der Flüssigboden wurde bei dieser Maßnahme mit einer mobilen Mischanlage (CM30+) der Firma Max Kroker Bauunternehmung GmbH & Co. aus Braunschweig aufbereitet.
(Bild: BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.)
Die Baugrube wird mit rund 2.000m³ Flüssigboden verfüllt.
(Bild: BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.)
Qualitätskontrolle: Die Gesellschaft für Materialforschung
und Prüfungsanstalt für das Bauwesen Leipzig mbH führte auf der Baustelle an dem eingesetzten Flüssigboden eine Fremdüberwachung durch.
(Bild: BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.)
René Radmacher (li) und Meik Arnemann vor der mobilen Mischanlage der Firma Max Kroker.
(Bild: BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.)